Vor dem Zahnwechsel ist das Kind ganz Sinnesorgan. Es bildet innerlich nach, was es äußerlich wahrnimmt. Das Leibeshaus muss von daher immer wieder von neuem erkundet, ein Selbstbewusstsein erarbeitet werden. Dieses Sich-Seiner-Selbst-Bewusst-Werden soll in der Arbeit mit Kindern im Kindergartenalter ein Arbeiten mit den unteren Sinnen sein. Vertrauen in die eigene Leiblichkeit schöpfen und das Gefühl „Ich stehe sicher in der Welt“ sollten das Ziel dieser Arbeit sein. Diese Sinne umfassen die Bereiche Tasten, Körperempfindung, Gleichgewicht und Bewegung. Viele Vernetzungen im Gehirn werden auf der Grundlage der Erfahrungen der unteren Sinne gemacht, und diese wiederum bilden die Basis für das, was später als Vorstellungsvermögen und Denkfähigkeit zu Tage tritt.
Unser Kindergarten bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, sei es nun im Wald, im Garten oder im Zwergenhaus, sich mit allen Sinnen auszuprobieren. Klar kommen dabei die Kinder auch mal an ihre Grenzen: beim Wandern, beim Klettern, beim Frühstück, im Winter, im Regen usw. Aber auch das gehört dazu. In einem gesunden Maß lernen die Kinder an solchen „Widerständen“ das Menschsein.
Hier finden Sie einige Beispiele in Bezug auf die Sinnespflege in unserem Kindergarten:
Gleichgewicht
Durch das tägliche Laufen auf dem unebenen Waldboden, über Stöcke und Wurzeln, bekommen die Kinder Sicherheit und Standfestigkeit. Sie lernen, sich in eine gewachsene Umgebung einzufügen.
Auch beim Klettern, das bei uns im Wald einen großen Raum einnimmt, muss man sich in einen gewachsenen Raum einfügen können und auch seine Körperhaltung dementsprechend immer wieder anpassen. Auch können die Kinder hierbei immer wieder voneinander lernen. Jeder neue erklommene Baum oder Ast macht die Kinder stolz und gibt ihnen Selbstvertrauen.
Diese Körperbeherrschung schafft Sicherheit – man hat einen Standpunkt und lernt, vor sich Liegendes zu bewältigen ohne ins Schwanken zu kommen.
Konzentration und Körperbeherrschung braucht es auch zum Balancieren auf den vielen Baumstämmen und Holzklötzen im Wald oder beim Sitzen auf unseren Holzpömpeln.
Erfahrungen im Raum (z.B. beim Klettern) und mit Verhältnissen (z.B. beim Kochen und Backen) sind auch Grundlage für mathematisches Denken.
Das Erleben von Raumesrichtungen sowie das Überkreuzen, wie es beim Reigen, bei gemeinsamen Spielen oder Finger/Körper oder auch bei Fadenspielen erlebbar wird, oder auch nur die räumliche Orientierung im Wald, ist Training für den Gleichgewichtssinn.
Auf unserem Grundstück gibt es natürlich auch Stelzen oder das Seilspringen.
Bewegung
Ein gesunder Wechsel von Zeiten schier unerschöpflicher Bewegungsmöglichkeiten (Freispielzeit im Wald) und gehaltenen Zeiten (z.B. in den Zwergenhäusern), zwischen Natur und Kultur, lässt die Kinder in einen gesunden Bewegungsrhythmus kommen.
Tätigkeiten in der Umgebung der Kinder sind verständlich und dürfen mitbewegt werden.
Durch Bewegung bzw. das Sich-Mitbewegen lernen die Kinder Sprüche, Reigen, Märchen etc. nicht zuerst durch ihren Intellekt, sondern mit ihrer ganzen Leiblichkeit kennen.
Der Bewegungssinn ist in besonderer Weise ein Willenssinn. Natürliche Bewegungen, wie es sie in der Natur und im Wald sowie in vielen Tätigkeiten (z.B. säen, dreschen backen) gibt, vermögen ihn zu stärken.
Selbstverständlich gehören auch grob- und feinmotorische Tätigkeiten, wie etwa das Arbeiten an der Werkbank oder das Schnitzen sowie das Malen, Filzen, Weben, mit zu unserem Kindergarten.
Tastsinn
Durch unseren Tastsinn erfahren wir unsere Grenze (wo fange ich an und wo höre ich auf). Eine liebevolle, klare und verlässliche Grenzsetzung gehört also auch zur Tastsinnpflege. Auch unser Wald ist nicht hüllenlos, sondern voll von besonderen Punkten, Plätzen und auch Grenzen, die die Kinder respektieren.
Wir ertasten vor allem Natürliches und nicht von Menschenhand Geschaffenes im Wald. Die vier Elemente umgeben uns besonders spürbar und so entwickeln wir eine besondere Wertschätzung für die Natur.
Das Ertasten und Berühren dieser natürlichen Materialien, wie z.B. Bäume, Pflanzen, Tiere, Steine, Wasser, Sand, etc., fördert den Tastsinn.
Im Sommer laufen wir auf unserem Grundstück auch gerne mal barfuss. Besonders schön ist dabei der Barfusspfad und natürlich das Spielen mit dem Wasser.
Körperempfindung (Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit)
Lebensprozesse werden für die Kinder anschaulich und vom Anfang bis zum Ende verständlich gemacht (z.B. säen, pflanzen, ernten, kochen).
Die rhythmische Gestaltung der Zeit (Tages-, Wochen- und Jahresrhythmus).
Wir erschaffen unser Spielzeug im Wald selbst und haben in der Freispielzeit viel Gelegenheit, kreativ und eigenständig zu spielen.
Zu einer guten Befindlichkeit gehört auch unser Zwergenhaus dazu. Hier ist es kuschelig und gemütlich. Bücher vorlesen, entspannen, … – dafür ist hier Zeit.
Kinder können im Wald, natürlich in einem gesunden Maß, an ihre Grenzen kommen, um so ihre Mitte zu finden (z.B. erst ist es vielleicht sehr kalt draußen, aber dann geht es ins sehr warme, beheizte, kuschelige Zwergenhaft).